Sonntag, 20. September 2015

Ideologie

Gründungsmanifest



Mitte Oktober 2006 wurde in einem Video von einem anonymen Vertreter des ISI-Informationsministeriums eine Gründungserklärung des Islamischen Staates verlesen. Als politische Begründung für die Ausrufung eines Islamisches Staates  wurde angeführt, dass die Sunniten, anders als die Kurden im Norden und die Schiten im Süden, noch immer nicht über ein eigenes Staatswesen verfügten, sondern weiter unter Fremdherrschaft leben müssten. Zur religiösen Begründung wurde auf einen Spruch des Propheten Mohammed im Hadith  verwiesen, dass Muslime von einem Muslim regiert werden müssen. Als wichtigste politische Ziele wurden bereits damals die Vertreibung aller „Invasoren“ und „Aggressoren“ aus dem Irak und nachfolgend die Schaffung von Frieden und Sicherheit, die buchstabengetreue Ausführung der Scharia und damit einhergehend die gerechte Verteilung der Ressourcen des Landes an alle Gläubigen genannt.
Anfang 2007 veröffentlichte ISI eine neunzigseitige Schrift mit dem Titel Benachrichtigung der Gläubigen über die Geburt des Islamischen Staates. Darin wurde durch Berufung auf Koranverse  und Stellungnahmen berühmter mittelalterlicher sunnitischer Staatsgelehrter versucht, die Rechtmäßigkeit der Staatsgründung im Sinne des sunnitischen Rechtsverständnisses nachzuweisen. Die Bestimmung des Staatsführers solle durch „Usurpation durch Unterwerfung mit dem Schwert“ (Recht des waffenstärksten Bewerbers auf die Führungsposition im Krisen- oder Streitfall) erfolgen. Da aus sunnitischen Quellen nicht abzuleiten ist, wie groß das Territorium sein muss, auf dem ein Islamischer Staat ausgerufen werden darf, gilt aus der Sicht des ISI, dass dies überall dort ist, wo seine Kämpfer öffentlich mit Waffen auftreten. Bald nach ihrer Veröffentlichung wurde die Schrift durch den palästinensisch-jordanischen Gelehrten Abü Muhammed al-Maqdisi auf seine viel beachtete Internetseite tawhed.ws gestellt und ist dort auch immer noch zu lesen, obwohl Al-Maqdisi nach seiner Haftentlassung im Juni 2014 versucht, sich als Kritiker des „Islamischen Staates“ darzustellen.

Scharia


In seinem Herrschaftsgebiet führte der IS einen auf der Scharia und dem „klassischen“Wahhabismus  basierenden „16-Punkte-Katalog“ ein, der das öffentliche und private Leben massiv normiert. Demnach sind der Konsum und Verkauf von Alkohol, Tabakwaren und anderen Drogen ebenso untersagt wie das Tragen von Waffen, das Abhalten von Versammlungen, „Götzen-Bildnisse“ und „Schreine“. Frauen müssen „züchtig-bedeckende Kleidung“ tragen und gemeinhin zuhause bleiben. Verlautbarungen in Moscheen unterliegen der Zensur. Im Juni 2015 wurde das im Nahen Osten beliebte Taubenzüchten verboten, weil es die Muslime vom Beten abhalte und der Anblick von Taubengenitalien ihre Sittlichkeit verletzte. Bereits vor dem Verbot wurden 3 Männer wegen Taubenzüchtens hingerichtet.

Umgang mit Abweichlern

Beobachtet wurde, dass der IS gegen Muslime anderer Glaubensrichtungen eine rigorose Version der islamischen Praxis des Takfir anwendet: Alle „Abweichler“ (z. B. die Schiiten) sind demnach „Ungläubige“ bzw. „Gottesleugner“ (Kafir), werden als „todeswürdig“ eingestuft und getötet, wenn sie sich im Machtbereich des IS aufhalten.

Sklaverei und sexueller Missbrauch

Beim Vormarsch im Sommer 2014 vertrieb der IS die jesidische Bevölkerung im Nordirak und nahm einen großen Teil gefangen. Im Oktober 2014 erklärte der IS in seinem Propagandamagazin Dabiq, dass sein „Ziel die kulturelle und religiöse Auslöschung der Identität der Jesiden “ sei. Scharia-Studenten des IS hätten die Jesiden nicht als ehemalige islamische Sekte eingestuft, sondern als eine heidnische Religion aus vorislamischer Zeit, somit als Muschrik  (Götzendiener, also eine abwertende Bezeichnung für Polytheisten). „Nach islamischem Recht sei man damit auch berechtigt, jesidische Frauen und Kinder zu versklaven.“
Der Artikel mit dem Titel Die vorzeitige Wiedergeburt der Sklaverei führt weiter aus, dass man Frauen und Kinder unter den Kämpfern des islamischen Staates aufgeteilt habe, „nachdem ein Fünftel von ihnen der Regierung des Islamischen Staates als Steuer übergeben wurde.“ Nach Berichten geflohener Mädchen gehört es zur Praxis in allen vom IS besetzten Territorien, junge Frauen und Mädchen ab neun Jahren als „Sexkonkubinen “ zu versklaven. Ausländische Anhänger der Milizen werden mit Frauen versorgt. Der Sexhandel wird als fromme Bekehrung beschönigt.
2015 wurde durch geflohene Jugendliche bekannt, dass der IS Kindersoldaten ausbildet. In den überfallenen jesidischen Dörfern im Irak versucht der IS Jungen umzuerziehen und als Kämpfer auszubilden. Beobachter sehen das Training als Teil der IS-Bemühungen, eine neue Generation von Kämpfern heranzuzüchten. Neben gewaltsamer Rekrutierung werden die Teenager und Kinder mit Hilfe von Geschenken, Drohungen und Gehirnwäsche gefügig gemacht. Der IS nutze ein Video, in dem ein Junge, der unter Aufsicht eines erwachsenen Dschihadisten steht, einen syrischen Soldaten enthauptet. In einem anderen Propaganda-Video werden 25 Kinder gezeigt, die 15 gefangenen syrischen Soldaten in den Kopf schießen. Im Lager Faruk werden laut IS-Quellen Jungen mit menschenverachtendem Drill zu Kämpfern ausgebildet.
Verschiedene Menschenrechtsorganisationen gehen von 2500 bis 7000 Verschleppten aus. „Die Selbstbezichtigung von IS ist nun ein wichtiges Indiz dafür, dass die Terrormiliz den Versuch eines kulturellen Genozids an den Jesiden unternimmt.“
Siehe auch: Sklaverei im Islam in der Gegenwart

Umgang mit behinderten Menschen


Seit mehreren Jahren wird festgestellt, dass die Terrororganisation körperlich oder psychisch kranke Menschen entführt und sie anschließend „benutzt“, um Selbstmordattentate durchzuführen.

Zerstörung von Kulturgut


Der IS betreibt einen scharfen Ikonoklasmus und zerstört systematisch „Götzenbilder“ der vor-islamischen Vergangenheit. Im Februar 2015 wurden im Museum von Mossul gezielt Statuen, insbesondere aus der asyyrischen  Zeit, zerschlagen. Ferner liegen Berichte vor, wonach sich die Zerstörungswut generell auch gegen archäologische Monumente richtet. Im Irak sollen zwischen Ende Februar und Anfang März 2015 die Überreste der antiken Städte Nimrdu ,Hatra  und Dur Sarrukin  mit Sprengstoff und Bulldozern dem Erdboden gleichgemacht worden sein. Der Umfang des Ikonoklasmus erinnerte Beobachter an die Sprengung der Buddha-Statuen von Bamiyan durch die afghanischen Taliban im März 2001. Es wird vermutet, dass der IS verschiedene Ziele damit verfolgt und bei dem Bildersturm auch propagandistische Motive eine Rolle spielen. Stellenweise wurde auch berichtet, dass Kulturgüter möglicherweise mit LKW abtransportiert wurden, um sie im westlichen Antikenhandel  zu Geld zu machen.
Muslimische Gelehrte und Institutionen, wie das in Kairo ansässige oberste islamische Rechtsinstitut Dar al-Ifta verurteilten die Zerstörung der Kulturgüter durch den IS und wiesen darauf hin, dass selbst frühere Kalifen oder Gelehrte wie Abu Hanifa im Irak lebten und diese Stätte erhielten und nicht zerstörten.
Am 20. Mai eroberte der IS die antike Metropole Palmyra , einem UNESCO-Weltkulturerbe  mit den bis dahin noch erhaltenen vorwiegend römischen Ruinen. In der Region liegen auch wichtige Gasfelder, um die es schon seit Monaten Kämpfe gibt. Im August und September 2015 begann der IS mit der systematischen Zerstörung mehrerer bedeutender Bauwerke der Ruinenstadt. Darunter auch der Baaschlamin Tempel, welcher durch Sprengung völlig zerstört wurde, sowie die Grabtürme am Rande der Stadt.

Völkermord und Kriegsverbrechen




Am 19. März 2015 veröffentlichte das UNO-Hochkommissariat für Menschenrechte einen Bericht, in dem die Einschätzung vertreten wurde, dass die durch den IS verübte Gewalt das Ausmaß von  Völkermord erreicht habe. Besonders das Vorgehen gegen die Jesiden habe das Ziel, diese als Gruppe zu vernichten, so der Bericht. Außerdem wurden weitere Verbrechen wie Mord, Folter, Vergewaltigungen und sexuelle Versklavung sowie erzwungene religiöse Konvertierung und Zwangsrekrutierungen von Kindern aufgezählt. Die Ermittler appellierten an den in Genf tagenden UN-Menschenrechtsrat, sich beim UN-Sicherheitsrat für die strafrechtliche Verfolgung aller derartigen Verbrechen einzusetzen. Der UN-Sicherheitsrat müsse damit den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag beauftragen.

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